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schriften der
jugendpastoral
im erzbistum köln
Jugendpastoral von den
Armen her denken
Hintergründe, Projekte und Methoden
praxishilfe Nr. 3
Der Titel der vorliegenden Praxishilfe lautet ›Von den Armen her
denken‹. Sie stellt Projekte vor, die von engagierten Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern umgesetzt werden, um unsere Gesellschaft ein
bisschen besser und ein bisschen chancengleicher zu machen. Ohne
diese positiven Impulse, das Engagement mit Herz und Verständnis
würden viele Begegnungen nicht stattfinden. Begegnung schaffen,
heisst Möglichkeiten schaffen. Jeder Mensch bringt seinen sozialen
Hintergrund, seinen Wissens- und Erfahrungshorizont mit in jede
Begegnung. In persönlichen Begegnungen können Klassengrenzen,
Wissensgrenzen, Statusgrenzen überwunden werden in einem Gemein
schaftserlebnis. Wie wichtig und befähigend diese Begegnungen sein
können, habe ich selbst oft genug erlebt.
Als Jugendliche habe ich versucht, unsere soziale Isolation in einer Kirchengemeinde zu
kompensieren. Das war sicher eine Strategie, die sich für mich ausgezahlt hat. Die Kirche ist ein
Ort, der finanziell Schwachen immer noch Möglichkeiten der Teilhabe bietet. Schließlich gehört
es zum Selbstverständnis der Kirche, durch die Organisation von Gruppenaktivitäten einen
Ausgleich zu ermöglichen. Außerdem sind die Klassenschranken zumindest vordergründig
aufgehoben und die Kommunikation ist durchlässiger, weil es im Glaubensauftrag der Mitglieder
liegt, sich zu kümmern und die Ausgrenzungen zu integrieren … Die Gemeinde wurde zum
Familienersatz. (Auszug, Seite 119)
Da ich gebeten wurde, diese Praxishilfe aus Sicht einer ehemaligen ›Betroffenen‹ zu
ergänzen, möchte ich an dieser Stelle auch versuchen etwas Neues beizutragen und dazu
ermutigen, die eigene Rolle in Begegnungen mit Betroffenen noch bewusster zu
reflektieren. Ich möchte ein paar Gedanken über das Selbstbewusstsein der Betroffenen
beitragen. Da sich Wirklichkeit in Sprache abbildet, möchte ich mich an dieser Stelle mit
der Zuschreibung ›die Armen‹ auseinandersetzen. Denn sie mag wohl als Hilfskategorie
die Arbeit erleichtern, es gibt jedoch keine homogene Gruppe oder gesellschaftliche
Position, die sie repräsentiert.
Die Angebote in der vorliegenden Praxishilfe richten sich an Zielgruppen, die sich laut der oft
in der Öffentlichkeit bemühten Metapher ›am Rande der Gesellschaft‹ befinden. Ich möchte
an dieser Stelle zur Verdeutlichung meines Gedankenexperiments diese Randmetapher
hinterfragen. In der Realität stehen die Menschen in diesen Zielgruppen nicht an einem
imaginären Rand der Gesellschaft, sondern leben mitten in ihr. Von außen ist es manchmal
gar nicht erkennbar, wo die Grenze zwischen ›den Armen‹ und uns anderen verläuft.
Wer sind ›die Armen‹? Wer würde sich freiwillig in diese Kategorie rechnen wollen?
»Arm, das sind doch die Anderen«, hätte auch ich früher gesagt.
Gedanken
über das
Betroffensein